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Bilder einer Freundschaft
In meiner Seele
ein Fotoalbum. Momentaufnahmen, Diashow, kleine Filme.
Wie konserviert lagern sie ein Leben lang in einem Herzen, manchmal fehlt
der Ton, manchmal der passende Geruch, mal bleibt der Geruch, aber das
Bild dazu ist nicht mehr da. Oder es fehlen Teile eines einmal vollständigen
Bildes, wie die abgeschlissene Kante eines Fotos ein Detail unkenntlich
macht oder es verschwinden lässt. Aber in Freundschaften wirkt die Zeit
in zwei Richtungen. Wie Bilder verloren gehen, kommen neue hinzu. Oder
verloren geglaubte werden lebendig in neuen Begegnungen mit alten Freunden.
Heute greife ich hinein in den Bilderreichtum der Vergangenheit und ziehe
heraus, was mir gefällt.
Sehe einen tapferen Blondschopf den Gehsteig entlang schwanken, bemüht
die gerdade erst erlernte Balance auf den eigenen Beinen zu halten. Hinterher
krabbelt ein weiterer Blondschopf, staunend über die neue Dimension der
Fortbewegung. Möglich, aber noch nicht für mich! Dann wieder fliegen bunte
Stifte durch die Erinnerung, Ergebnis eines über dem gemeinsamen Malen
entstandenen Streits. Wütende Flüche, Freundschaftskündigungen, ausgerissene
Haare in geballten Fäusten. Nächtliches Umziehen durchs Treppenhaus, mit
der eigenen Bettdecke beladen: Ich will doch nicht bei Katrin schlafen!
Dann wieder ist die Freundin meine größte Beschützerin, die auf dem Weg
durch den Wald mutig den Hockeyschläger in der Luft schwenkend behauptet,
mich gegen alles Böse auf dieser Welt zu verteidigen. Und nichts weniger
hat sie getan. Die Zeit hat die Methoden verändert, es landen keine Stifte
mehr in Gesichtern, vielleicht Worte in Telefonhörern, es werden keine
Hockeyschläger mehr erhoben, sondern es wird kurz entschlossen auf Züge
aufgesprungen, um Küchengespräche unter Freunden zu führen (Anm.: dank
der Reiselust der einen und der gemütlichen Küchen der anderen...).
Es wird sich gegenseitig verziehen, dass sie so ist wie sie ist, wie sie
war, wie sie wurde. Sich gekannt. Freunde. In der Kindheit ein Bündnis
geschlossen, das in die Gegenwart wirkt. Es ist nicht immer aktiv und
wird nicht immer beschworen. Es existiert. Es leuchtet auf, wird es von
einer der beiden angestrahlt. Ein Fixstern. Ihm ist es egal, ob es bewölkt
ist oder nicht. Wer ihn kennt, findet ihn immer.
Julia Mittelstraß
Hamburg, 10. April 2002
kontakt: julia.mittelstraß@thalia-theater.de
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